Wege durch den Dschungel der Angebote: Kriterien für Qualität
(1) Herausforderung und Problem
Wer nach Angeboten zur Behandlung und Prävention gerontopsychosomatischen Störungen im Internet sucht, findet eine Flut von Instituten, Therapeuten und Kliniken.
Schon seit langem wird mit Konzepten mit Titeln aller Alterssparten geworben. Bereits 2001 fand Kleinmann aber heraus, dass in Kursen zur Altersvorbereitung Angebot und Nachfrage nicht zusammen passen (in Schuler, 2001, Lehrbuch der Personalpsychologie). Geboten werden vor allem Informationen zu Finanzen, Recht und Medizin, nachgefragt jedoch werden der Umgang mit Gefühlen der empfundenen Nutzlosigkeit, die Angst vor sozialer Isolation, der Umgang mit Unzufriedenheit bzgl. schwindender Gesundheit, Frustration oder die Suche nach Lebenssinn, Würde und Werten.
Angebote für Ältere boomen in den letzten Jahren; dieser Trend ging jedoch zu oft zu Lasten der Qualität. Wichtig ist vor allem zu unterscheiden, was genau für ein Ziel mit dem Angebot verfolgt wird, für wen es maßgeschneidert ist oder sein soll: den älteren Arbeitnehmern, die auf die Rente zugehen? Den bereits Berenteten, die Angst vor Vergesslichkeit und geistigem Abbau haben oder schon erste Defizite und Probleme bemerken?
Das Verständnis von Entwicklung als einem lebenslangen Prozess und die Annahme, dass Störungen dieses Prozesses der Anpassungsleistungen des Individuums bedürfen und somit Bestandteil des Entwicklungsgeschehens sind, fehlt den meisten Angeboten. Forschungsergebnisse zeigen zudem, dass die Vorbereitung des Dritten Alters früh beginnen sollte. Die spezifische Vorbereitung auf diese Themen wird ab einem Alter von 50 Jahren für sinnvoll erachtet.
Für die im Folgenden dargestellten Konzepte ist jedoch nicht das Alter das entscheidende Kriterium, sondern die in dieser Altergruppe anzutreffenden Problembereiche.
50 plus: Altersvorsorge
Im Alter von 50-60 Jahren liegt der Schwerpunkt der Altersvorsorge in der Bewältigung der Anforderungen im Alter, neben den altersbedingten psychischen und somatischen Veränderungen und Lebensereignissen auch die heutige Arbeitsmarktsituation. Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit erhöht den Wettbewerb der Arbeitnehmer untereinander. Besonders unter Druck geraten ältere Arbeitnehmer, wenn sie zusätzlichen Belastungen ausgesetzt sind. Wechselnde und neue Arbeitsaufgaben stellen hohe Anforderungen bei zeitgleich auftretenden Begleiterscheinungen des Älterwerdens.
Altern lässt sich beschreiben als eine Aufeinanderfolge von Veränderungen und kritischen Ereignissen, die Anpassungsleistungen erfordern. Zu den so genannten „Life-Events“ des Alters gehören z.B. der erlittene oder drohende Verlust nahe stehender Menschen, der neue Umgang mit körperlichen Erkrankungen, das Ende der Berufstätigkeit, finanzielle Einschränkungen, die Aktualisierung früherer Traumata im Alter oder die Pflege der Eltern oder des Partners, das „Empty home“ (Leeres-Nest)-Syndrom oder der Partnerverlust durch Tod oder Scheidung.
In der klinischen Literatur sind die negativen Auswirkungen dieser Belastungen wie psychische Befindensbeeinträchtigungen bis hin zu körperlichen Symptomen und Erkrankungen beschrieben. Dabei geht es nicht immer um schwere klinisch relevante Störungen, sondern um das Erleben einer verminderten Lebensqualität als langfristige Folge von alltäglichen und andauernden Stressoren. Mit präventiven Maßnahmen kann durch Altersvorbereitung die Entwicklung solcher Krankheiten verhindert werden, indem neue Werte, neue Rollen und neue Kompetenzen vermittelt werden.
70 plus: Gerontopsychosomatik
Im höheren Lebensalter liegt der Schwerpunkt auf Gerontopsychosomatik. Gerontopsychosomatik befasst sich mit den psychischen und psychosomatischen Erkrankungen bei älteren und älter werdenden Menschen.
Neben dem rechtzeitigen Start der Vorbeugung ist ein altersunbeschränktes Angebot wichtig: viele Programme für Ältere werden nur bis zu bestimmten Altersgrenzen (zumeist 65 oder 70 Jahre) angeboten. Dabei wird außer acht gelassen, dass erstens immer mehr Ältere jenseits der 70 Jahre kognitiv fit sind und zweitens auch jene mit beginnenden Einschränkungen von solchen Programmen in hohem Maße profitieren können. Ebenso vernachlässigt wird die Behandlung älterer Patienten mit beginnenden hirnorganischen Abbauprozessen.
Mit fortschreitendem Alterungsprozess treten Veränderungen des Organismus und des Zentralnervensystems auf. Besonders in vier Bereichen treten Verluste der kognitiven Leistungsfähigkeit auf, die in den Trainingsmaßnahmen Berücksichtigung finden:
1. in der Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung
2. in der Fähigkeit zur Lösung neuartiger Probleme
3. im Kurzzeit- oder Arbeitsgedächtnis
4. in der Kontrolle von Lernvorgängen (das Lernen ist störanfälliger)
Zahlen aus der Berliner Altersstudie belegen außerdem die hohen gerontopsychiatrischen Erkrankungsraten bei Menschen über 70 Jahren: 13,9 % leiden an Demenz, 9,1% an einer depressiven Störung, 1,9% an einer Angststörung, 0,6% an einer organisch bedingten wahnhaften Störung oder Halluzinose, weitere 0,6% an einer organisch bedingten Persönlichkeitsstörung und 0,7% an einer schizophrenen oder paranoiden Störung.
(2) Aufbau guter Angebote
Wie sollen gute Angebote nun aussehen? Wie trennt man die Spreu vom Weizen? Wo und wie lange nimmt man am besten teil?
Die bisherigen Darstellungen zeigen, dass es für die Neustrukturierung des Lebens, den Aufbau von Werten und den Erwerb von Kompetenzen, Hirnleistungstraining und ähnliches nicht ausreicht, einen Wochenendkurs zu belegen. Auch ein Programm zusätzlich zu einem Alltag, der hohe Anforderungen stellt, zu absolvieren, ist wenig ratsam. Optimal ist eine „Auszeit“, mit der man mit der Auseinandersetzung mit dem eigenen Alter beginnen kann; abgeschlossen ist dieser Prozess eigentlich nie.
Für besonders empfehlenswert halten wir deshalb den Aufenthalt in einer spezialisierten Einrichtung. Da es bei der Behandlung dieser Störungen auch um Prävention und Sicherstellung der Teilhabe geht, bieten sich Rehabilitationskliniken mit entsprechenden Behandlungsschwerpunkten an. Die Kostenübernahme muss dabei für Arbeitnehmer mit der Deutschen Rentenversicherung, für Rentner mit der Krankenkasse geklärt werden. Aktuelle gesundheitspolitische Slogans wie „Reha vor Rente“ und „Reha vor Pflege“ zeigen, dass die Versorgung dieser Klientel zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Wer für sich nach passenden Behandlungen in der stationären Rehabilitation sucht, sollte Wert auf das Vorhandensein fundierter Konzepte legen. Fundierte Konzepte zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich an definierte Gruppen richten und beschreiben, für wen sich die Behandlung empfiehlt. Sie verfügen über eine genaue Zieldefinition sowie eine wissenschaftlich fundierte Grundlage. Die medizinische Diagnostik muss ausführlich sein, damit ein spezifisches Programm für jeden Einzelfall erstellt werden kann.
Zusatzangebote für häufige Problemkonstellationen, z.B. pflegebedürftige Angehörige (ebenfalls ein aktueller Trend aus der Politik) oder „Sucht im Alter“, sind nicht nur wichtig, weil sie zusätzliche Hilfsmöglichkeiten bieten, sondern deuten darauf hin, dass sich der Anbieter intensiv mit den Problemen des Alterns auseinandergesetzt hat und nicht nur schnell was anbietet, um auf den Zug der „Age-Bewegung“ aufzuspringen und mitzuverdienen.
Ein empfehlenswertes Zusatzangebot ist z. B. „Sucht im Alter“. Im Gegensatz zum Alkoholkonsum ist die Einnahme von Benzodiazepinen bei älteren Menschen überdurchschnittlich hoch. Bei spät beginnenden Süchten spielt häufig ein Selbst-Medikations-Versuch nach kritischen Lebensereignissen eine ausschlaggebende Rolle.
Ältere Suchtkranke zeichnen sich durch eher stabile, wenig auffällige Persönlichkeiten aus; sie sind eher sozial engagiert, leiden aber aufgrund ihrer Suchterkrankung unter starken Schuldgefühlen. Dies macht es ihnen schwer, Hilfe zu suchen bzw. anzunehmen. Wichtigster Motor der Veränderung ist für die Betroffenen der Wunsch, die eigene Würde wiederzugewinnen, sich selbst respektieren zu können. Das Erlebnis, wieder eine gute Lebensqualität zu erreichen, sichert die Abstinenz.
Fast alle Rehabilitationskliniken haben eine Homepage, ermöglichen die Anforderung von Infomaterial oder haben (im Optimalfall sogar kostenfreie) Infotelefone. Nach Möglichkeiten zur Nachsorge sollte man sich hier ebenso erkundigen wie nach Altersbeschränkungen und Zusatzangeboten.
Für wen ist das Angebot?
Der Altersvorsorge liegt der Prophylaxegedanke zugrunde. Angesprochen sind also auch Personen ohne akute Beschwerden, also beispielsweise der ältere Arbeitnehmer, bei dem Stress und Belastung zunehmen, oder die Hausfrau, die ihre Eltern oder die des Ehepartners pflegt. Gerontopsychosomatik empfiehlt sich sowohl für symptomfreie Ältere, sie richtet sich aber auch an bereits beeinträchtigte Personen.
Die Dauer beträgt je nach Anbieter und Einzelfall 4-8 Wochen.
(3) Praxisbeispiel
Ein Beispiel für so ein geordnetes Vorgehen bietet die Rehabilitationsklinik Schömberg.
Das Konzept für Ältere ist aufgeteilt in ein Konzept „50 Plus: Psychosomatische Behandlung für ältere Arbeitnehmer und Altersvorsorge“ und „70 Plus: Gerontopsychosomatik und Altersvorsorge“.
Ziel des Programms „50 plus“ ist die Steigerung der Gesundheitskompetenzen. Primär geht es um die Faktoren, welche die Gesundheit schützen und erhalten. Im Bereich der Altersvorsorge sind die wichtigsten Erkrankungen körperliche Beschwerden, Infektanfälligkeit, Burnout, Depression, psychosomatische Erkrankungen, Schlafstörungen, Magen-Darm-Probleme, Sucht und allgemeine, unspezifische Symptome. Grundlage für die individuelle Behandlung ist die umfassende Diagnostik, um jedem Einzelfall bestmöglich zu helfen.
Die medizinische Diagnostik wird ausführlich und gleich zu Beginn des Aufenthalts erhoben und mündet in einen spezifischen Wochenstundenplan für den jeweiligen Neuankömmling. In Schömberg umfasst die Diagnostik eine körperliche Untersuchung, klinisches Labor, Elektrokardiographie, Ergometrie, Spirometrie und Sonographie inkl. Dopplersonographie. Eine klinische internistisch-neurologische Diagnostik sowie notwendige weiterführende medizinische Untersuchungen sind gewährleistet. Die psychosoziale Diagnostik umfasst gleichermaßen die Defizite wie auch die Ressourcen eines Patienten: klinische Psychodiagnostik mit sozialmedizinischer Beurteilung, operationalisierte psychodynamische Diagnostik (OPD) sowie psychometrische Persönlichkeits-, Funktions- und Leistungsdiagnostik und gegebenenfalls zusätzliche Hirnleistungsdiagnostik.
Das Konzept 70 plus der Klinik Schömberg zielt darauf ab, zur optimalen Altersvorbereitung beizutragen. Schömberg setzt dies beispielsweise durch „Gehirnjogging“ um. Die therapeutische Intervention erfolgt gezielt an den leistungseinschränkten Bereichen: der Störung der Merkfähigkeit, dem Nachlassen von Aufmerksamkeit und Konzentration, dem Planen und Handeln, dem Problemlösen, der Konzeptbildung, den psychomotorischen Funktionen, den Persönlichkeitsveränderungen, der Affektdurchlässigkeit, den depressiven Stimmungen und der Hypochondrie. Zusätzliche Therapieziele sind die Erhaltung der Fähigkeiten mittels kognitiver und körperlicher Aktivierung, das Training von Alltagsfunktionen, die Vorstellung zur individuellen Beratung in einer Gesprächsrunde, das Coping-Skills-Training, die Selbst-Erhaltungs-Therapie (Biographiearbeit) sowie die Angehörigenunterstützung.
Über Zusatzangebote werden besondere Problemkonstellationen abgedeckt. Dazu gehören Psychische und Verhaltensstörungen (hohe Neuerkrankung bei über 60jährigen, insbesondere Folgen psychischer Traumatisierung aus Kriegserfahrungen u.a.; Depressionen haben einen Höhepunkt zwischen dem 50-60 Lebensjahr), Patienten mit zu pflegenden Angehörigen und den dazugehörenden Auswirkungen lang andauernder Stressoren, insbesondere Herz-Kreislauf-Probleme, Magenbeschwerden, Gliederschmerzen, Depressionen, Schlafstörungen, Nervosität, Appetitstörungen und alle Formen der Erschöpfung bis hin zum Burnout, und „Sucht im Alter“.
Auffrischungen und Nachsorge werden zusätzlich angeboten.
Autoren: Christiane M. Haupt, Dr. Stefan
Dietsche, Dr. Christoph Löschmann (eqs-Institit Hamburg) Dr. Friedhelm Lamprecht (Klinik Schömberg)
Kontakt: haupt@eqs-institut.de
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