Immer mehr Menschen sind bereit, etwas für ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit zu tun und suchen nach entsprechenden Dienstleistungen. Der Markt ist unübersichtlich – eine Orientierung fällt schwer. Der Deutsche Medical Wellness Verband versucht mit Hinweisen und eigenen Qualitätskriterien Licht in das Dunkel zu bringen. Worauf kommt es bei Medical Wellness an und welche Rolle spielt der Arzt?
Dr. Steffen Heymann: Medical Wellness ist ohne Mediziner nicht denkbar. Der Arzt muss ebenso wie der Physiotherapeut und der Wellness-Spezialist in die Abläufe eingebunden sein. Andernfalls handelt es sich nicht um Medical Wellness!
Prof. Dr. Eberhard Volger: Man muss sicherlich grundsätzlich zwischen den Erwartungen von Patienten und Gästen unterscheiden. Auch in Zukunft wird sich vor allem der Arzt um die Kranken kümmern und der Hotelier hauptsächlich um Gesunde. Dort aber, wo es darum geht, dem Gast zu helfen etwas für seine Gesundheit und eine gesunde Lebensweise zu tun, wird man zusammengehen können und aus Gründen der Qualität, Effizienz und Sicherheit auch müssen.
Heike Heymann: Medical Wellness ist auf den Punkt gebracht: »Medizin zum Wohlfühlen!«. Das kann ohne den Arzt nicht gelingen. Wellness ist dabei das angenehme und schmückende Beiwerk. Das Augenmerk liegt jedoch auf einer ganzheitlichen Betrachtung des Menschen und einer nachhaltigen Veränderung seiner Lebensweise. Der Arzt »bastelt« nicht an der Symptomatik herum, sondern fragt nach den Lebensumständen.
Das Institut für Freizeitforschung hat in einer Studie festgestellt, dass der klassische Wellness-Gast gar keinen Mediziner erwartet. Ist das ein Irrtum?
Dr. Arnulf Preusler: Ich würde sagen, das ist ein Irrtum. Der Gast erwartet in einem Wellness-Hotel sicher nicht den Arzt im weißen Kittel und in gekachelten Räumen. Das versteht er aber unter einem Arzt. Ich denke jedoch, dass er gegen eine medizinische Kompetenz in einem Umfeld und Ambiente, dass sich von einer nomalen Praxis deutlich unterscheidet, nichts einwenden wird. Wichtig ist der Kontakt, das Gespäch, die Problematik zu erfassen und daraus für den weiteren Lebensweg Hilfe anzubieten.
Olaf Seiche: Der »Wellness-Gast« erwartet keinen Mediziner. Da stimme ich zu. Wir reden aber über den »Medical-Wellness-Gast«! Schwierig ist es natürlich, dem Verbraucher zu erklären, was Wellness und was Medical Wellness ist. Insofern sind solche Umfragen im Moment noch sehr stark interpretationsbedüftig.
Man müsste eigentlich wissen, wie der Befragte reagiert hat. Der Gast hat mit Sicherheit »Wellness« gehört. Und an der Stelle braucht er keinen Mediziner oder möchte keinen haben. Wenn sich jemand bewusst mit Medical Wellness beschäftigt, setzt er den Arzt garantiert voraus.
Gibt es den typischen Medical Wellness Gast?
Olaf Seiche: Ja, den gibt es. Er rekrutiert sich vor allem aus Leuten, die im Bereich der Prävention viel für sich selber tun wollen. Also zum Beispiel der Manager, der mal eine Woche Destressing machen möchte, der wissen möchte, wie sein Gesundheitszustand ist und der letztlich auch seine Arbeitskraft erhalten möchte. Das ist ein typischer Medical Wellness-Gast.
Dr. Steffen Heymann: Das sind aus meiner Sicht Menschen, die bewusst gesund alt werden wollen und bereit sind, dafür Geld auszugeben.
Reinhold Boes: Den Medical Wellness-Gast gibt es auf jeden Fall. Das ist ein Gast, der zum einen Interesse hat an Gesundheitsvorsorge für sich selber und der neben der medizinischen Prävention auch ein entsprechendes Wohlfühlambiente sucht. Auf der anderen Seite will der Gast etwas aktiv tun, erwartet also inhaltliche Angebote und nicht nur die klassische Wellness-Anwendung.
Wo kommt er her?
Reinhold Boes: Er ist zu finden in der Altersgruppe 40 bzw. 45 plus und meistens auch in einer Zielgruppe, die finanziell gesättigt ist.
Prof. Dr. Eberhard Volger: Der Medical Wellness-Gast wird sicher vor allem bei den Selbstzahlern zu finden sein. Ich sehe nicht, dass sich der Anteil der Kassenzuzahlungen in naher Zukunft erhöhen wird.
Was tut der Deutsche Medical Wellness Verband um die Qualität in der Branche hochzuhalten und die Spreu vom Weizen zu trennen?
Prof. Dr. Eberhard Volger: Der Verband hat schon vor über einem Jahr sehr strenge Qualitätskriterien für Medical Wellness Einrichtungen entwickelt, nach denen der TÜV Rheinland nicht nur Hotels und Kliniken sondern auch Produkte, Reiseveranstalter und Gesundheitsregionen überprüft. Leider ist dieser »Qualitäts-Standard« noch nicht ausreichend bekannt. Es gibt sogar verschiedene Einrichtungen und Verbände, die eigene Kriterien formulieren und dabei oft hinter unseren Anforderungen zurückbleiben. Mit diesen Institutionen wollen wir ins Gespräch kommen. Wenn jeder seinen eigenen Standard entwickelt, schadet das der Branche mehr als dass es nützt!
Woran orientiert sich der Verbraucher? Die Zertifizierung nach dem erwähnten Medical Wellness Quality System Standard steckt noch in den Kinderschuhen!
Olaf Seiche: Im Moment orientiert er sich an den Angeboten der Hotels. Er schaut also wirklich, welche Möglichkeiten er dort hat: Zum Beispiel, ob es einen medizinischen Eingangs-Check gibt, ob Bodystream-Geräte vorhanden sind oder ob die Möglichkeit besteht, Blutuntersuchungen vorzunehmen.
Der Kunde muss sich alle Informationen in mühevoller Kleinarbeit zusammensuchen. Dazu muss er entweder zahlreiche Prospekte durchstöbern, aufwändig im Internet recherchieren oder alle in Frage kommenden Anbieter anrufen. Die Reisebüros sind meistens nicht so gut informiert. Wenn der Verbraucher ein Siegel hätte, das an der Tür hängt, könnte er von dem medizinischen Bereich all das erwarten, was seine Urlaubsziele – sprich die gesundheitliche Regeneration – unterstützt.
Reinhold Boes: Im Grunde wird sich der Kunde auf Grund irgendwelcher Qualitätskriterien entscheiden. Da wäre so ein Gütesiegel mit Sicherheit hilfreich. Ansonsten geht es meines Erachtens nur über eine sorgfältige Beratung. Der Kunde muss sich in dem Reisebüro, in dem er eine Reise bucht, umfassend informieren können. Leider ist die Beratungskompetenz und -qualität in den Reisebüros nicht immer die Beste.
Würde das nicht voraussetzen, dass auch die Reiseveranstalter und -büros auf ihre Medical Wellness-Kompetenz überprüft werden müssen?
Reinhold Boes: Vollkommen richtig. Das muss auch der Ansatz für die Zukunft sein. Ein Medical Wellness Aufenthalt wird ein sehr komplexes und beratungsintensives Produkt bleiben. Insofern brauchen wir auch die entprechende Kompetenz. Es muss eine Aufgabe der Reiseveranstalter sein, seine Vertriebspartner entsprechend zu schulen.
Zur Zeit ist es so, dass ein deutscher Hotelier sich zwölf verschiedene Prüfsiegel an die Tür hängen kann. Ist das hilfreich für den Verbraucher?
Olaf Seiche: Das ist überhaupt nicht hilfreich. Es gibt eigentlich nur eine wesentliche Orientierungshilfe – das sind die Dehoga-Sterne – die in Deutschland ziemlich klare Vorstellungen vermittelt, wie ein Hotel aussehen muss. Im Bereich Medical Wellness gibt es für den Gast zur Zeit keine brauchbare Orientierungshilfe.
Der TÜV Rheinland hat in diesem Sommer sieben Hotels in Ungarn, Tschechien und der Slowakei nach dem DMWV-Standard überprüft – in Deutschland kein einziges. Wie kommt es, dass die ungarischen Medical Wellness Hotels weiter sind als die deutschen?
Olaf Seiche: Die ausländischen Hoteliers sind natürlich sehr an einem deutschen Qualitätssiegel interessiert, um internationale Gäste anzusprechen. Für sie ist die erfolgreiche Zertifizierung ein wichtiges Marketinginstrument. Für die deutschen Kollegen mag das mit der Marke »Made in Germany« verbundene Image eher eine Selbstverständlichkeit sein. Hinzu kommt, dass zum Beispiel die ungarischen Hotels auf eine über 100-jährige Kurtradition zurückgreifen können. Hier gibt es in den großen Thermalbädern zahlreiche Fünf-Sterne-Hotels, in denen der Hotelaufenthalt schon immer mit einem Gesundheitsaufenthalt verbunden wurde. Eine solche Historie gibt es in Deutschland einfach nicht.
Ich bin jedoch überzeugt, dass die Gäste über kurz oder lang auch in Deutschland nach entsprechenden Qualitätsausweisen fragen werden und sich dann die einheimischen Hotels einer Zertifizierung stellen werden.
ine viel diskutierte Forderung des Deutschen Medical Wellness Verbandes ist die medizinische Eingangsuntersuchung. Warum ist diese so wichtig?
Prof. Dr. Eberhard Volger: Der Check ist deswegen wichtig, weil eine möglicherweise unkritische Selbsteinschätzung der Gäste gesundheitliche Gefahren birgt. Der zahlende Kunde darf annehmen, dass er all das, was ein Haus anbietet auch ohne Risiko konsumieren kann. Das ist definitiv nicht der Fall. Bestimmte Anwendungen können für ihn durchaus negative Folgen haben.
Ein Gast mit einer Herzschwäche zum Beispiel, der ein Vollbad nimmt oder in eine Therme geht, kann lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen bekommen. Es geht also von vornherein um die richtige Beurteilung von Risiken. Unter der angesprochenen Klientel sind ja nicht nur junge und durchtrainierte Menschen, sondern auch ältere, die sich etwas Gutes tun wollen, aber mitunter das Gegenteil bewirken. Da gibt es genügend Beispiele.
Darüber hinaus wollen wir ja auch beratend tätig sein. Man sieht in einer Eingangsuntersuchung, wo gesundheitliche Risiken liegen. Der Arzt kann dann helfen, unter den Wellnessangeboten die geeigneten auszusuchen.
Olaf Seiche: Der Eingangs-Check dokumentiert die gesundheitlichen Voraussetzungen, die der Medical Wellness Gast tatsächlich hat. Er hat sich für seinen Urlaub in aller Regel ein Ziel gesteckt und dieses Ziel möchte er erreichen. Und da es sich in den meisten Fällen um gesundheitlich relevante Veränderungen handelt, wie Ernährungssumstellung, Gewichtsreduktion, Korrektur der Blutwerte bis hin zu vollständigen Kuren, ist es für den Gast auch absolut notwendig, dass der Arzt vor Ort ist und den Gast anständig betreut.
Dr. Arnulf Preusler: Man muss erst einmal wissen, wo man steht. Ich verstehe unter dem Eingangs-Check nicht allein die körperliche Untersuchung. Die ist ein Teil davon. Man bekommt wesentliche Informationen auf diesem Weg. Viel wichtiger finde ich jedoch das Gespräch. In diesem kann man herausfinden, ob es Vorerkrankungen oder besondere Lebensumstände gibt, auf die man eingehen kann. Es gibt zum Beispiel eine Vielzahl an Krankheiten oder Befindlichkeiten, die durch Stress, ungesunde Lebensweise oder bestimmte Ereignisse ausgelöst werden und gesundheitliche Probleme verursachen. Solche Ursachen und Probleme aufzuspüren, ist wichtig für die weitere Behandlung.
Ist es nicht generell sinnvoll, sich ab einem bestimmten Alter regelmäßig durchchecken zu lassen?
Prof. Dr. Eberhard Volger: Der Eingangs-Check kann nicht die regelmäßige Untersuchung beim Hausarzt ersetzen. Aber er kann eine gewisse Weichenstellung für die kommenden Tage und Empfehlungen für die nächsten Wochen geben. Das Ziel eines Medical Wellness-Aufenthaltes ist es, über das Wohlfühlen und das angenehme Ambiente eine nachhaltige Gesundheitsförderung zu erreichen und den Kunden am eigenen Leib erfahren zu lassen, was ihm gut tut und was langfristig gesundheitsförderlich ist. Ich denke da zum Beispiel an die Kneipp-Therapie, die ja sehr wohl zu Hause durchgeführt werden kann. Und die Wahrscheinlichkeit, dass der Gast diese Erfahrung aus einem wunderschönen Haus in Urlaubsambiente mit nach Hause nimmt, ist sicher größer, als in einer sterilen Klinikatmosphäre.
Wenn Sie einmal fünf Jahre voraus denken. Was wird anders sein?
Olaf Seiche: In fünf Jahren wird es, wie heute auch, eine große Zahl an guten Wellnesshäusern geben. Ich glaube, das untere Segment der derzeit vorhandenen Wellnesshotels wird es dann allerdings nicht mehr geben, weil sich auch da Qualität durchsetzt. Als Ersatz werden zunehmend Medical Wellness-Häuser wachsen und entstehen. Dies letztendlich auch vor dem Hintergrund, dass die Kassen immer weniger Geld bezahlen werden und der Selbstzahler zu einer immer interessanteren Zielgruppe wird, die nicht mehr in eine Kurklinik zur Rehabilitation fährt. Prof. Dr. Eberhard Volger: Was wir heute machen, ist ja nicht ganz neu. In den Vereinigten Staaten gibt es das schon sehr lange. Große Firmen schicken ihre Leute in große Healts Resorts. Da machen die Mitarbeiter dann wirklich ihren jährlichen CheckUp – und das in einem angenehmen Ambiente. Dort werden sie gecoacht, etwas für sich zu tun, um im Anschluss für ihr Unternehmen auf lange Zeit ein gesunder und leistungsfähiger Mitarbeiter zu bleiben. Bei uns wird das nicht ganz so sein. Aber zumindest der Gedanke, dass der Einzelne etwas für seine Gesundheit tun kann und dass das etwas durchaus Angenehmes ist, wird sich durchsetzen. Vielleicht reicht das dann aus, um manch ungesunde Lebensweise aufzugeben.
Das Gespräch führten Susanne Lunow und Steffen Wilbrandt.